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Die Ursachen von Tinnitus, Teil 4: Wenn Arzneimittel das Ohr zum Rauschen bringen

Autorenbild: Boris SeedorfBoris Seedorf


Können Arzneimittel Tinnitus hervorrufen?
Können Arzneimittel Tinnitus hervorrufen?

Tinnitus – der medizinische Begriff beschreibt ein Leiden, das bei Millionen Menschen in Deutschland für Unruhe sorgt. Ein ständiges Rauschen, Pfeifen oder Summen im Ohr, das oft nicht nur irritierend ist, sondern in schweren Fällen auch den Schlaf, die Konzentration und das allgemeine Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen kann. Die Ursachen sind vielfältig: Stress, Lärm, aber auch bestimmte Medikamente und Impfstoffe stehen im Verdacht, Tinnitus hervorzurufen oder zu verstärken. Doch welche Mittel sind es, die unser Ohr "zum Rauschen bringen" können?


1. Schmerzmittel und Entzündungshemmer: NSAR im Fokus


Nicht-steroidale Antirheumatika, kurz NSAR, gehören zu den am häufigsten eingenommenen Medikamenten. Ob zur Linderung von Kopfschmerzen oder zur Behandlung von Gelenkschmerzen – Wirkstoffe wie Ibuprofen, Aspirin (Acetylsalicylsäure) und Naproxen sind aus deutschen Haushalten kaum wegzudenken. Doch was viele nicht wissen: Besonders in hohen Dosen oder bei häufiger Einnahme können sie Ohrgeräusche begünstigen. Dieser Effekt ist vor allem bei hochdosiertem Aspirin bekannt, das sich negativ auf das Innenohr auswirken und Tinnitus-Symptome hervorrufen kann. Für die meisten Patienten sind die Symptome nach Absetzen der Mittel jedoch reversibel.


2. Antibiotika: Gezielte Bekämpfung mit Nebenwirkungen


Ein weiteres Augenmerk liegt auf bestimmten Antibiotika, vor allem den Aminoglykosiden wie Gentamicin und Streptomycin. Diese Wirkstoffe, die bei schweren bakteriellen Infektionen eingesetzt werden, sind als ototoxisch bekannt, was bedeutet, dass sie das Innenohr schädigen und so Hörprobleme und Tinnitus verursachen können. In der Regel ist dieses Risiko bei kurzer Anwendung gering, steigt jedoch mit der Dosierung und Dauer der Einnahme. Auch Makrolid-Antibiotika wie Erythromycin und Azithromycin können in seltenen Fällen Ohrgeräusche hervorrufen.


3. Entwässerungsmittel: Diuretika als mögliche Auslöser


Diuretika, oft als Entwässerungsmittel zur Behandlung von Bluthochdruck und Herzproblemen eingesetzt, können ebenfalls zum Problem werden. Vor allem sogenannte Schleifendiuretika wie Furosemid oder Bumetanid stehen im Verdacht, das Innenohr zu beeinflussen. In hohen Dosen, etwa bei intravenöser Gabe im Krankenhaus, kann dies bei einigen Patienten zu vorübergehendem oder sogar dauerhaftem Tinnitus führen.


4. Antidepressiva und Psychopharmaka: Ein sensibles Gleichgewicht


Psychische Gesundheit und Tinnitus sind eng miteinander verknüpft. Depressionen und Angststörungen können Tinnitus verstärken, und andersherum leiden Menschen mit chronischem Tinnitus häufig unter psychischen Belastungen. Doch auch einige Antidepressiva, besonders trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, können unter bestimmten Umständen Ohrgeräusche verstärken. Auch neuere Wirkstoffe wie SSRIs (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) – bekannt durch Namen wie Fluoxetin und Sertralin – sind in seltenen Fällen mit Tinnitus-Symptomen assoziiert.


5. Chemotherapeutika


Zu den Medikamenten, die Tinnitus auslösen können, gehören auch Chemotherapeutika – insbesondere platinbasierte Wirkstoffe wie Cisplatin. Diese Medikamente greifen gezielt in die Zellteilung ein, um Krebszellen zu bekämpfen, was jedoch auch auf gesunde Zellen übergreifen kann, darunter die empfindlichen Haarzellen im Innenohr. Das Risiko für Tinnitus und andere Hörschäden ist bei dieser Medikamentengruppe hoch und oft unumkehrbar, weshalb bei diesen Patienten regelmäßig das Gehör kontrolliert wird.


6. Sonstige: Betablocker, Malariamittel (Chinin, Chinidin, Chloroquin), Viagra und einige andere Arzneien


Auf der Seite http://sideeffects.embl.de/se/C0040264/ (leider nur englischsprachig) finden Sie Medikamente gelistet, die Tinnitus begünstigen können. Zur Zeit sind dort 395(!) Mittel mit dieser möglichen Nebenwirkung aufgelistet.


7. Impfstoffe


Das Thema Tinnitus durch bzw. nach Impfungen ist immer wieder Gegenstand von Diskussionen, vor allem im Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen. Zwar sind die wissenschaftlichen Daten hier noch nicht abschließend, jedoch habe ich schon Rückmeldungen von Patienten bekommen, die im Anschluss der Impfung über Tinnitus klagten. Es kann also zumindest ein zeitlicher Zusammenhang bestehen. Inwieweit ein ursächlicher besteht, ist eine andere Frage. Dabei scheint es sich jedoch oft um vorübergehende Beschwerden zu handeln, die mit der Immunreaktion auf den Impfstoff zusammenhängen könnten. In seltenen Fällen könnten jedoch auch andere Impfstoffe Tinnitus auslösen, was individuell betrachtet werden muss.


Was tun bei medikamenteninduziertem Tinnitus?


Wird der Tinnitus nach der Einnahme eines Medikaments wahrgenommen, gilt es, nicht in Panik zu verfallen. Oft verschwinden die Symptome nach dem Absetzen des Medikaments. Der erste Schritt sollte ein Gespräch mit dem Arzt sein, um alternative Therapien oder Dosierungen zu besprechen. Ich habe es in der Praxis schon erlebt, dass Tinnitus und auch Drehschwindel sich spürbar besserten, wenn Patienten in Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt ein Medikament, das im Verdacht stand, Tinnitus zu verursachen, entweder in der Dosierung verringert oder auch ausgetauscht wurde gegen eines mit anderem Wirkstoff. Zudem ist es hilfreich, begleitende Faktoren wie Stress, Schlafqualität und andere gesundheitliche Einflüsse in den Blick zu nehmen.


Medikamente können eine wichtige Hilfe sein, das ist klar. Jedoch sollten Patienten und Ärzte stets auch das Risiko von Nebenwirkungen wie Tinnitus im Blick haben. Mit einer klugen und bewussten Medikamentenwahl lassen sich viele Risiken minimieren und unnötige Belastungen für die Ohren vermeiden.


Die mittlerweile bereits nun 4 Teile umfassende Reihe "Die Ursachen von Tinnitus" zeigt, wie vielfältig die Ursachen sind. Das ist einer der Gründe, warum das Erstgespräch bzw. die Anamnese bei Tinnitus gründlich durchgeführt werden muss. Es gibt eben nicht nur "den einen Tinnitus".


Melden Sie sich gerne, wenn Sie sich Unterstützung wünschen.


Herzlich,

Ihr Boris Seedorf


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