Gehörschutz bei Tinnitus: Sinnvoll oder nicht?
- Boris Seedorf
- 5. Juni
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
Als Heilpraktiker mit Spezialisierung auf Tinnitus und Hörsturz ist es mir ein besonderes Anliegen, die Bedeutung von Gehörschutz hervorzuheben. Um es deutlich zu sagen: Gehörschutz ist aus meiner Sicht ein unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen Tinnitus-, Hörsturz- und Hyperakusis Therapie.
Warum ist Gehörschutz so wichtig?
In meiner Praxis erlebe ich bei Patienten oftmals eine gewisse Unsicherheit beim Thema Gehörschutz, da sie unterschiedliche Informationen zu diesem Thema bekommen. An dieser Stelle möchte ich dieses Thema aus meiner Sicht und Erfahrung beleuchten:
Unser Innenohr ist ein hoch sensibles und äußerst leistungsfähiges Organ, das täglich einer Vielzahl von Geräuschen ausgesetzt ist. Lärm, sei es durch Verkehr, laute Musik, Kopfhörer oder industrielle Umgebungen, kann die feinen Haarzellen im Innenohr stark belasten. Viele Menschen kennen es: Das "Nachdröhnen" im Ohr, wenn man nach einem Konzert oder Discobesuch nach Hause geht. Dabei handelt es sich bereits um eine akute Überlastung des Innenohrs. Haben die Hörzellen "genug Sprit im Tank", sprich: ist ausreichend Zellenenergie vorhanden (ATP, welches von den Mitochondrien produziert wird, den "Kraftwerken der Zellen"), kann das Innenohr wieder in einen Zustand der Regeneration zurückfinden und die Ohrgeräusche und der häufig damit zusammenhängende Hörverlust verschwinden wieder.
Problematisch wird es, wenn die Hörzellen bereits vorbelastet oder sogar bereits "ausgelaugt" sind: Dann findet das Ohr nicht mehr zur Ruhe zurück.
Dr. Lutz Wilden, der die maßgeblichen Grundlagen für eine moderne, wirksame Innenohrtherapie gelegt hat, betont die Rolle von Lärm als eine der Ursachen für Tinnitus. Er erklärt, dass die permanente Reizüberflutung durch Lärm die Hörzellen überfordert und zu einer zellulären Stresssituation führt. In dieser Stresssituation senden die Hörzellen Notsignale aus, die wir als Tinnitus wahrnehmen.
Wie entlastet Gehörschutz das überforderte Innenohr?
Gehörschutz wirkt wie eine "Pause" für unser Gehör. Er reduziert die Lautstärke der Umgebungsgeräusche und schützt so die empfindlichen Strukturen des Innenohrs vor weiterer Schädigung. Besonders in lauten Umgebungen, wie Konzerten oder Baustellen, ist der Einsatz von Gehörschutz essentiell, um das Risiko von Hörschäden zu minimieren.
Dr. Wilden hebt hervor, dass Ruhe dem Innenohr hilft, sich zu regenerieren. Er vergleicht die Überlastung der Hörzellen mit einem Muskel, der durch ständige Belastung ermüdet. Gehörschutz bietet die notwendige Erholung, um die Funktion der Hörzellen zu erhalten.
Eigentlich ist es ganz einfach: Ist das Innenohr bzw. sind die Hörzellen belastet, geben diese ein Notsignal ab. 'Baubedingt' ist dieses Notsignal im Falle der Hörzellen kein Schmerzsignal, sondern ein akustisches Signal, welches wir Tinnitus nennen. Und was wäre ein logischer Ansatz in einem solchen Fall? Na klar: die überlasteten Strukturen schützen! Ähnlich wie es im Falle einer schmerzhaften Sehnenreizung am Ellenbogengelenk durchaus Sinn macht, vorerst auf lange, belastende Tennismatches zu verzichten und es der Sehne zu ermöglichen, sich zu erholen - ebenso verhält es sich mit überlasteten Hörzellen: Man gönnt Ihnen Ruhe für ihre Regeneration.

Hörsturz: Ohrstöpsel sind eine echte "Erste Hilfe"!
Wie auf meiner Internetseite beschrieben, bekam ich im Jahr 2016 einen Hörsturz. Mein damaliger Behandler und späterer Praxispartner Herr Kroll empfahl mir, sofort das betroffene Ohr zu verschließen. Ein sehr guter Hinweis, für den ich noch heute dankbar bin, denn bis zum nächsten Tag hatte sich mein Ohr bereits leicht erholt. Ein Hörsturz zeigt eine akute Überlastungssituation des Innenohres an. Und ein Ohrstöpsel entlastet sofort, da das Ohr weniger Schalldruck verarbeiten muss.
Empfehlungen für effektiven Gehörschutz
Es gibt verschiedene Arten von Gehörschutz, die je nach Bedarf ausgewählt werden sollten.
Viele Menschen denken bei der Erwähnung von Gehörschutz zuerst an die Ohropax Ohrstöpsel oder an die Ohropax Classic aus Wachs. Diese beiden Arten von Gehörschutz empfehle ich in der Regel nicht für das Tragen tagsüber. Denn sie dämpfen sehr stark und man kann sich nur schwer unterhalten bzw. einem Gespräch folgen, während man die trägt.
Besser geeignet für den Alltag sind aus meiner Sicht Ohrstöpsel mit einem kleinen Filter aus Kunststoff. Es gibt heutzutage so viele derartige Ohrenstöpsel, dass es unmöglich ist, sie alle aufzuzählen. Deshalb erwähne ich im Folgen jene Arten, mit denen entweder ich persönlich gute Erfahrungen gemacht habe oder meine Patienten. Sie sind "überall" im Internet erhältlich, evetuell auch bei Drogerien wie z.B. Budnikowsky, Rossmann, DM usw.
Ohropax Music: Meine Favoriten, die ich selber nutze. Angenehm zu tragen und es sind zwei unterschiedliche Größen in der Packung enthalten.
Alpine Partyplugs: Sehr hochwertig. Werden zudem mit einer praktischen Schutzkapsel geliefert.
Loop: Dieser Hersteller bietet inzwischen ein riesiges Sortiment an. Hochwertig gefertigt in originellem Design.
Herausfordernd: "Mein Tinnitus wird lauter, wenn ich Gehörschutz trage!"
Ein sehr wichtiger Punkt: Der Ton selber wird dadurch nicht lauter! Aber: Dadurch, dass die Umgebungsgeräusche durch das Tragen von Gehörschutz gedämpft werden, wird der eigene Tinnitus weniger 'überlagert' und es kann sein, dass dieser dadurch präsenter und lauter erscheint. Für manche Betroffene ist das mitunter belastend. Doch auch in solchen Fällen gibt es Lösungen.
Ich empfehle dann zunächst Gehörschutz mit einer weniger starken Dämpfung, z.b. nur 10 oder 15 Dezibel anstatt 20 Dezibel, zum Beispiel:
Loop Engage 2: Mit 16dB Dämpfung kann man noch gut Gespräche führen bzw. zuhören.
Crescendo Office 10 oder Office 15: Insbesondere der Office 10 mit nur 10dB Dämpfung gibt ein ziemlich "offenes" Hörempfinden.
Wann und wie oft?
Grundsätzlich gilt: Gehörschutz sollte immer dann getragen werden, wenn mit einer erhöhten Lärmbelastung zu rechnen ist – auch dann, wenn diese subjektiv gar nicht als „unangenehm laut“ empfunden wird. Das betrifft nicht nur offensichtliche Situationen wie Konzerte, Baustellen oder das Arbeiten mit Maschinen, sondern auch alltägliche Umgebungen wie stark befahrene Straßen, volle Restaurants oder Großraumbüros.
Auch auf längeren Autofahrten rate ich dazu, Ohrstöpsel zu tragen. Besonders wichtig ist meiner Erfahrung nach das Tragen von Gehörschutz im Flugzeug, denn das Innenohr muss neben dem Lärm (angefangen von der Abfertigungshalle bis hin zum Turbinenschall) auch die wechselnden Druckunterschiede verarbeiten. Dafür eignen sich beispielsweise die "Ohropax Flight" sehr gut.
Gerade bei bestehendem Tinnitus, nach einem Hörsturz oder bei einer Geräuschüberempfindlichkeit empfehle ich, Gehörschutz regelmäßig im Alltag zu nutzen – idealerweise mehrmals täglich für einige Minuten bis hin zu mehreren Stunden, je nach Lärmbelastung und individueller Empfindlichkeit.
Ziel ist es, gezielt zu schützen – nicht dauerhaft abzuschirmen. In meiner Praxis hat sich bewährt, Gehörschutz so einzusetzen, wie man bei körperlicher Überlastung eine Bandage verwendet: situativ, unterstützend, aber nicht unbedingt durchgehend.
Tipp: Meiner Erfahrung nach wird Gehörschutz nur regelmäßig getragen, wenn er sich gut im eigenen Ohr anfühlt. Daher empfehle ich, zwei oder sogar drei verschiedene Modelle unterschiedlicher Hersteller zu testen. Zum Beispiel an einem Wochenendtag, an dem man diese in Ruhe ausprobieren kann.
Der Schutz unseres Gehörs sollte nicht unterschätzt werden. Und eben nicht nur präventiv, sondern erst recht gerade dann, wenn bereits Symptome wie Tinnitus, Hörsturz oder eine Hyperakusis bestehen.
In meiner Praxis stehe ich Ihnen gerne für eine individuelle Beratung zum Thema Gehörschutz zur Verfügung. Gemeinsam finden wir die passende Lösung, um Ihr Gehör langfristig zu schützen.
Herzliche Grüße
Boris Seedorf
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